Nachteilsausgleich für behinderten Studierenden

02.05.2014 | AutorIn:  Kanzlei Menschen und Rechte | Aktuelles

Ein Jurastudent mit Behinderung darf nach einem gerichtlichen Vergleich seine Examensklausuren liegend diktieren.

Auf was für einen Nachteilsausgleich Studierende mit Behinderungen bei Prüfungen Anspruch haben, ist immer wieder ein Thema. Die rechtlichen Bestimmungen sind vage. Daher ist der gerichtliche Vergleich bemerkenswert, den das Prüfungsamt der Freien Hansestadt Bremen vor kurzem mit einem von der Kanzlei Menschen und Rechte anwaltlich vertretenen Jurastudenten geschlossen hat. Dabei haben sich die Beteiligten auf erheblich modifizierte Prüfungsbedingungen für das Ablegen der Ersten Juristischen Staatsprüfung geeinigt (vgl. Verwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen, Aktenzeichen 1 K 1305/12).

Der Jurastudent, der eine besonders schwere Form von Rheuma und deswegen einen Grad der Behinderung von 50 hat, wollte mit seiner Klage auf Gewährung eines seiner Behinderung angemessenen Nachteilsausgleichs erreichen, dass er statt des klassischen juristischen Klausurenexamens (sechs Klausuren, jeweils fünfstündig, zu schreiben innerhalb zweier Wochen) eine dieser Prüfungsform soweit als möglich inhaltlich angepasste Hausarbeit schreiben darf.

Das Verwaltungsgericht Bremen vertrat die Auffassung, dass durch ein Hausarbeitsexamen der Prüfungsinhalt hinsichtlich der festzustellenden Fähigkeiten zu stark modifiziert werde; dies sei mit dem Grundsatz der Chancengleichheit aller Prüflinge nicht zu vereinbaren. Rechtsanwältin Dr. Babette Tondorf, die den Kläger vertrat, argumentierte dagegen, dass das Benachteiligungsverbot von Menschen mit Behinderungen des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes, flankiert durch Recht auf freie Wahl des Berufs aus Art. 12 GG und die UN-Behindertenrechtskonvention, auch im Prüfungsrecht dazu führen müsse, dass alternative Prüfungsformen mit vergleichbarem Schwierigkeitsgrad zugelassen werden müssten, um behinderungsbedingte Nachteile gerade im Interesse der Chancengleichheit auszugleichen und auch diesen Studierenden einen Studienabschluss zu ermöglichen.

Der Kläger entschied sich – auch in Anbetracht der Ungewissheit über den Fortgang seiner Erkrankung – dagegen auf dem Hausarbeitsexamen zu beharren und für den Abschluss eines Vergleichs. Er kann nun das Klausurenexamen mit erheblichen Erleichterungen schreiben: Er erhält eine Zeitverlängerung von zwei Stunden pro Klausur, eine Schreibkraft, der er diktieren kann, die Möglichkeit, sich jederzeit auf eine Matratze zu legen sowie die Aufteilung der Klausuren auf zwei Prüfungsdurchgänge. "So weit sei man im Juristischen Staatsexamen in Bremen noch nie von den üblichen Bedingungen abgerückt", kommentierte Dr. Siegert, die die Freie Hansestadt Bremen (Prüfungsamt) vertrat, die Einigung. Rechtsanwältin Dr. Tondorf: "Insgesamt ein gutes Ergebnis, das zeigt, dass sich auch auf dem Gebiet des Prüfungsrechts für Menschen mit Behinderung etwas bewegt. Der Weg hin zu alternativen Prüfungsformen, die im Einzelfall notwendig sein können, ist aber leider noch ein steiniger."

 

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