"Zeuginnenschutz" in der Praxis - bitte nicht so förmlich

11.12.2011 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Aktuelles, Nebenklage, Strafrecht

Es ist ja bisweilen überraschend zu erleben, wie überzeugte Strafverteidiger plötzlich zu Verächtern prozessualer Rechte im Strafverfahren werden können, wenn sie nur von den Falschen, den Nebenklagevertretern, gebraucht werden. 2. Prozesstag in einem Verfahren vor dem Landgericht, angeklagt sind insbesondere mehrere Fälle von sexueller Nötigung und Vergewaltigung.

Das Gericht, das im Vorfeld des Verfahrens deutlich signalisiert hat, dass es eine Videovernehmung nach § 247a StPO für eine gute Idee hält, hat sich überraschenderweise und entgegen vorgelegten fachpsychiatrischen Stellungnahmen entschlossen, die traumatisierte minderjährige Geschädigte nicht per Video zu vernehmen und auch die Angeklagten während ihrer Vernehmung nicht vorübergehend nach § 247 S. 2 StPO auszuschließen, weil es die Voraussetzungen nicht als gegeben ansah.

Immerhin habe die Geschädigte ja, so hieß es in der mündlichen Begründung des Beschlusses unter anderem, bereits mehrere polizeiliche Vernehmungen ohne nennenswerte psychische Beeinträchtigungen überstanden (ein bemerkenswertes Argument, denn in diesen Vernehmungen waren ja weder die Beschuldigten anwesend, noch etwa - wie im Gerichtssaal - ein gutes Dutzend Erwachsener).

Also habe ich, es war wohl der vierte prozessuale Antrag der Nebenklage an diesem langen Tag (die Verteidigung hatte angesichts der wenig an der Nutzung der prozessualen Möglichkeiten zum Opferschutz interessierten Kammer wenig zu tun) Antrag auf Unterbrechung der Hauptverhandlung bis zum nächsten Verhandlungstag gestellt, damit sich die Nebenklägerin, die entgegen meiner Bitte für eine realistische Terminierung schon für 10 Uhr morgens geladen war und die nun seit über 4 Stunden wartete, auf die neue Situation einstellen könnte (an diesem Tag war ohne dies kaum noch Zeit für die Vernehmung).

Die Situation war für die Zeugin und Nebenklägerin auch deswegen überraschend, weil im Zeugenzimmer die Videovernehmungsapparatur aufgebaut worden war und sie sich damit während der ersten drei Stunden ihrer Wartezeit schon vertraut gemacht hatte.

Angesichts der aus meiner Sicht kaum nachvollziehbaren Ablehnung der Anträge nach §§ 247 und 247a StPO, begründete ich den Antrag auf Unterbrechung notgedrungen ausführlicher, es waren vielleicht fünf Minuten. Stellungnahme des ersten Verteidigers: Es strapaziere die Geduld der Beteiligten im Gerichtssaal und sei auch gegenüber dem Gericht recht ungebührlich, wie ausführlich hier ein Antrag begründet werde. Eine bemerkenswerte Variante der Konfliktverteidigung...

ich werde wohl Gelegenheit haben, den Kollegen demnächst an sein Plädoyer für eine zurückhaltende Nutzung prozessualer Rechte zu erinnern.

 

 

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