Ärztliche Sterbehilfe: Die Merkwürdigkeiten anwaltlicher Pressemitteilungen

03.04.2012 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Allgemein

Dass Recht auch Politik ist, wissen wir ja schon lange. Dass auch Anwälte Entscheidungen, die sie erstreiten ohne näheres Ansehen ihres rechtlichen Gehalts, zur Stimmungsmache nutzen ist nicht überraschend, im Einzelfall dann aber doch bemerkenswert.

"Generelles Sterbehilfeverbot für Ärzte gekippt" behauptet etwas marktschreierisch die Anwaltskanzlei Wollmann & Partner in einer Pressemitteilung und rühmt sich zugleich eine "Ausnahmeentscheidung" erzielt zu haben.

Ja was denn nun: Generell oder Ausnahme? Letzten Endes stimmt wohl eher "weder noch", denn der Fall ist recht speziell, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts dagegen etwas allgemeiner - nur wird dort kein "generelles Sterbehilfeverbot" gekippt. Welches denn auch?

Sterbehilfe ist auch in der Ärzteschaft, wie sich aus den Empfehlungen der Bundesärztekammer zur Sterbebegleitung von 2011 ergibt, in der Ärzteschaft akzeptiert. Der § 16 der neuen Musterberufsordnung der Ärzte, der vielen Sterbehilfebefürwortern ein Dorn im Auge ist, verbietet ausdrücklich nur die "Beihilfe zur Selbsttötung". Die Vorschrift wurde erst 2011 beschlossen. Das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Berlin geht auf eine Untersagungsverfügung von 2007 zurück: logischerweise kann in dem Verfahren die Norm von 2011 nicht gekippt worden sein. Was also hat das Verwaltungsgericht Berlin gemacht?

Geben wir der Pressestelle des Gerichts das Wort:

"Die Ärztekammer Berlin hatte einem Arzt, der in Berlin tätig und zum damaligen Zeitpunkt zweiter Vorsitzender des Vereins Dignitate (heute: Dignitas Deutschland) war, im Jahr 2007 untersagt, anderen Personen todbringende Substanzen für deren beabsichtigten Suizid zum Gebrauch zu überlassen. Hiergegen wandte sich der Arzt mit seiner Klage.

Die 9. Kammer des Verwaltungsgerichts hielt das ausnahmslose berufsrechtliche Verbot in der Untersagungsverfügung, eine ärztliche Beihilfe zum Suizid durch Überlassen von Medikamenten zu begehen, im konkreten Fall für zu weitgehend und hat es deshalb aufgehoben.

Gemessen am verfassungsrechtlichen Maßstab der Freiheit der Berufsausübung (Art. 12 GG) und der Gewissensfreiheit des Arztes (Art. 2 Abs. 1 GG) habe kein uneingeschränktes Verbot des ärztlich assistierten Suizids ausgesprochen werden dürfen.

Mit den genannten Grundrechten unvereinbar sei es nämlich, die ärztliche Beilhilfe zum Suizid auch in Ausnahmefällen unter Androhung eines Zwangsgeldes zu verbieten, in denen ein Arzt aufgrund einer lang andauernden, engen persönlichen Beziehung in einen Gewissenkonflikt geraten würde, weil die Person, die freiverantwortlich die Selbsttötung wünsche, unerträglich und irreversibel an einer Krankheit leide und alternative Mittel der Leidensbegrenzung nicht ausreichend zur Verfügung stünden.

Der Kläger habe dargelegt, dass ein solcher Ausnahmefall für ihn außerhalb seiner Tätigkeit für den Sterbehilfeverein keine bloß theoretische Möglichkeit darstelle. Das Gericht stellte ausdrücklich klar, dass ein Verbot der Überlassung todbringender Medikamente an Sterbewillige verfassungsrechtlich unbedenklich sei, soweit diese Gesunden oder in ihrer Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigten psychisch Kranken überlassen werden sollen. Ohne weiteres zulässig sei auch ein Verbot beruflicher oder organisierter Sterbehilfe, wie sie der Verein Dignitas anbiete."

Über die Ausführungen des Gerichts zu den Ausnahmen von einem Verbot der Suizidbeihilfe kann man sich streiten - vor allem hat sich hier die Lage dadurch grundlegend geändert, dass es mittlerweile eben anders als 2007 ein ausdrückliches berufsrechtliches Verbot gibt.

Im konkreten Fall ging es auch um einen Arzt, der gar nicht niedergelassen ist, sondern der im arbeitsmedizinischen Bereich tätig ist. Kurz: Eine interessante Entscheidung, die aber in keiner Weise bahnbrechend ist. Bahnbrechend ist allenfalls, wie mit einer Pressemitteilung der Kerngehalt der Entscheidung umgedeutet werden soll.

(Urteil der 9. Kammer vom 30. März 2012, VG 9 K 63.09.)

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