Auch "Einäugige" können Durchblick haben

02.01.2012 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Strafrecht

BGH, abgewatschte Verteidigung und die Interessen des Angeklagten

Wenn ich schon lese, dass ein Richter kritisiert wird, weil er "einäugig" sei, läuten bei mir erste Sprach-Alarm-Signalglocken: Missfallen sollte geäußert werden ohne in die Kiste zu greifen, die reichlich behinderten feindliche Klischee-Formulierungen bereit hält (also bitte auch keine "hinkenden Vergleiche" mehr).

Dann hat der kurze Text des Kollegen Hoenig aber auch sonst nicht überzeugt: Der von ihm beschriebene und in dem referierten knappen BGH-Beschluss auch nicht sehr viel deutlicher gewordene Deal zwischen Verteidigung, Staatsanwaltschaft und Gericht (das ihn initiiert hat), wirft tatsächlich viele Fragen auf.

Vor allem möchte man wissen, warum der Verteidiger sich erst auf den Deal eingelassen, ihn dann aber mit der Aufklärungsrüge wieder zu Fall gebracht hat (wenn der Kollege/die Kollegin mit liest: bitte melden!)...

Die Überlegung, die der BGH ins Spiel bringt, dass es für den Angeklagten vorteilhaft gewesen sein könnte, mit einer Knaststrafe aus der Verhandlung zu gehen, statt mit einer Einweisung in den Maßregelvollzug hat jedenfalls aus Verteidigungssicht einiges für sich.

Dass der BGH sich Gedanken über die Vorgehensweise der Verteidigung macht und dem Gericht an rät, einen möglicherweise (möglicherweise, weil wir hier zu wenig über den Fall und dessen Hintergründe wissen) konzeptionslos handelnden Verteidiger zu entpflichten, erscheint mir zuerst mal kein Zeichen von Verteidiger feindlichem Richterdenken zu sein. Es kann auch von Fürsorgeaspekten für den Angeklagten getragen sein - und dessen Interessen können hier vor denen seines Verteidigers durchaus vorrangig sein.

Dass der BGH sich weniger Gedanken über die Staatsanwaltschaft macht, finde ich dagegen gerade unter diesem Aspekt durchaus nachvollziehbar und keineswegs ungerechtfertigt einseitig: Die Staatsanwaltschaft handelt nicht im Interesse des Angeklagten, die, in deren Interesse sie handelt, können hier durchaus selbst regelnd eingreifen und auf schlechte Qualität staatsanwaltschaftlicher Tätigkeit reagieren...

Den Eintrag zur Entscheidung von Burhoff hatte ich übrigens gar nicht als so kritisch verstanden, sondern mehr als Wertung "bemerkenswerte Entscheidung" - und das ist sie ja auch, denn der BGH watscht nicht alle Tage die Verteidigung ab...

Dementsprechend verläuft die Diskussion in Burhoffs Blog recht kontrovers und munter (und auch Burhoff äußert Bedenken, dass die Verteidigung hier sinnvoll vorgegangen ist). So hat der BGH immerhin etwas Bewegung in die Debatte über Verteidigungsstrategien gebracht...

 

 

 

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