Bundestag will klammheimlich Zwangsbehandlung legalisieren... (manchmal ist es wirklich ein Skandal)

21.11.2012 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Medizinrecht

Morgen (Donnerstag 22.11.) am frühen Abend, wenn die Redaktionsschlusszeiten vorbei und die Kommentatoren noch schlapp von der Kommentierung der Haushaltsdebatte vor ihren Rechnern liegen, will die Regierungskoalition mal eben so, "schnellschnellschnell", einen neuen § 1906 BGB in erster Lesung durch den Bundestag hetzten und dann (ohne nennenswerte Diskussion, Expertenanhörung oder sonst was) Anfang nächsten Jahres im BGB fest verankern.

Es geht um: Zwangsbehandlung - also weder eine Petitesse noch eine sonderlich ausgefallene Fragestellung. Die medizinische Behandlung eines Menschen nicht nur ohne, sondern sogar gegen seinen Willen ist eine schwere Grundrechtsverletzung - auch wenn sie angeblich nur zum Besten des Betreffenden erfolgt.

Wir leben in einer Gesellschaft, die keine Vernunfthoheit des Staates oder der Ärzte kennt, sondern die das Selbstbestimmungsrecht für höchst beachtlich hält. Mit der geplanten Reform des § 1906 BGB, die erforderlich wurde, weil das Bundesverfassungsgericht 2011 Zwangsbehandlungen zwar nicht grundsätzlich verboten, die Hürden für eine Genehmigung der Zwangsbehandlung aber äußerst hoch gelegt hat, eine Rechtsprechung, der sich der Bundesgerichtshof im Sommer diesen Jahres für das Betreuungsrecht angeschlossen hat.

Das Bundesverfassungsgericht hat sehr deutlich gemacht, warum Zwangsbehandlungen zu den schwersten vorstellbaren Eingriffen in die Grundrechte eines Menschen gehören:

"Der in einer medizinischen Zwangsbehandlung liegende Eingriff berührt nicht nur die körperliche Integrität des Betroffenen als solche, sondern in besonders intensiver Weise auch das von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG mit geschützte Recht auf diesbezügliche Selbstbestimmung.

Ein von anderen Menschen gezielt vorgenommener Eingriff wird als umso bedrohlicher erlebt werden, je mehr der Betroffene sich dem Geschehen hilflos und ohnmächtig ausgeliefert sieht. Hinzu kommt, dass der Eingriff in der Unterbringung häufig Menschen treffen wird, die aufgrund ihrer psychischen Verfassung den Schrecken der Zwangsinvasion in ihre körperliche Integrität und der Beiseitesetzung ihres Willens sowie die Angst davor besonders intensiv empfinden.

Die Gabe von Neuroleptika gegen den natürlichen Willen des Patienten schließlich stellt einen besonders schweren Grundrechtseingriff auch im Hinblick auf die Wirkungen dieser Medikamente dar. Dies gilt schon im Hinblick auf die nicht auszuschließende Möglichkeit schwerer, irreversibler und lebensbedrohlicher Nebenwirkungen und die teilweise erhebliche Streuung in den Ergebnissen der Studien zur Häufigkeit des Auftretens erheblicher Nebenwirkungen.

Psychopharmaka sind zudem auf die Veränderung seelischer Abläufe gerichtet. Ihre Verabreichung gegen den natürlichen Willen des Betroffenen berührt daher, auch unabhängig davon, ob sie mit körperlichem Zwang durchgesetzt wird, in besonderem Maße den Kern der Persönlichkeit."

Wann eine Lage so ist, dass diese schwersten Zwangs-Eingriffe möglich sein sollen, verlangt intensiver öffentlicher Diskussion. Die ist allerdings nicht einmal ansatzweise geführt worden. Das Postulat insbesondere von Ärzten in psychiatrischen Kliniken, ohne die Möglichkeit zu Zwangseingriffen drohe wieder die Verwahrpsychiatrie, sagt mehr über die offensichtlich katastrophale Lage in den Kliniken aus, die anscheinend nur bestehen können, wenn sie ohne große Umstände gegen den Willen ihrer Patienten behandeln können.

Es sagt nicht darüber aus, warum Menschen zwangsbehandelt werden und warum das unvermeidbar sein soll.

Das Bundesverfassungsgericht hat sich auch mit dieser Thematik befasst und festgestellt:

"Der Zwangsbehandlung (muss), soweit der Betroffene gesprächsfähig ist, der ernsthafte, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks unternommene Versuch vorausgegangen sein, seine auf Vertrauen gegründete Zustimmung zu erreichen.

Auch beim Einwilligungsunfähigen ist ärztliche Aufklärung über die beabsichtigte Maßnahme nicht von vornherein entbehrlich. Als Grundlage einer rechtfertigenden Einwilligung kann die Aufklärung eines Einwilligungsunfähigen zwar nicht dienen; (es) darf aber auch ein Einwilligungsunfähiger über das Ob und Wie einer Behandlung, der er unterzogen wird, grundsätzlich nicht im Unklaren gelassen werden.

Eine den Verständnismöglichkeiten des Betroffenen entsprechende Information über die beabsichtige Behandlung und ihre Wirkungen erübrigt sich daher nicht (vgl. auch UN-Grundsätze für den Schutz von psychisch Kranken, Grundsatz 11 Abs. 9)."

Das erfordert aber Verhältnisse in den geschlossenen Einrichtungen und Psychiatrien, die heute nicht vorliegen. Dem jetzt mit der Legalisierung der Zwangsbehandlung ohne große Diskussionen zu begegnen, führt zu einer Verfestigung der höchst unbefriedigenden Zustände auf dem Status Quo.

Die Abgeordneten sollten diesen Weg auf keinen Fall mitgehen, wollen sie sich nicht für biopolitische Kontroversen dauerhaft diskreditieren.

Der Flop, den sich das Parlament mit dem gegen vielfältige öffentliche und Expertenkritik beschlossenen Transplantationsgesetz biopolitisch geleistet hat, sollte nicht dadurch ausgebügelt werden, dass man nun gar keine Experten mehr befragt und gar keine öffentliche Diskussion mehr zulässt.

(Und hier noch ein Link zu einem Text von mir zum Thema)

 

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