Bundesverfassungsgericht und Medizinalhanf

02.03.2015 | AutorIn:  Kanzlei Menschen und Rechte | Aktuelles

Das Bundesverfassungsgericht hat die Rechte schwerkranker Patienten, die auf selbst angebautes Cannabis angewiesen sind, die aber für den Eigenanbau keine Genehmigung haben, gestärkt. Jetzt muss das Bundesgesundheitsministerium schnell eine vorläufige Lösung finden, um die betroffenen Patienten nicht weiter zu illegalisieren.

In dem erfolgreichen Verfassungsbeschwerdeverfahren, das die Kanzlei Menschen und Rechte für einen schwerbehinderten und vielfältig schwer erkrankten Mandanten geführt hat, wurde festgestellt, dass die Durchsuchung bei dem Beschwerdeführer dessen Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Artikel 13 Abs 1 GG verletzt hat. Die Durchsuchung, die vom Amtsgericht Darmstadt genehmigt wurde, diente der Auffindung und Beschlagnahmung von Cannabispflanzen, die der Beschwerdeführer braucht, um sich selbst zu therapieren.

Ausgangspunkt des Verfahrens war eine Selbstanzeige des Beschwerdeführers, dem die Bundesopiumstelle im Juni 2013 die Genehmigung erteilt hatte Medizinalhanf aus der Apotheke zu beziehen und zu verbrauchen. Die dafür anfallenden Kosten in Höhe von über 1.000 EUR im Monat konnte er aber nicht tragen, weswegen der Vater zweier Kinder er dazu überging selbst Cannabis anzubauen um sich weiter behandeln zu können. Im Oktober 2013 zeigte sich der Beschwerdeführer bei der Staatsanwaltschaft selbst an. Monate später wurde seine Wohnung durchsucht und die dort aufgefundenen Cannabispflanzen wurden beschlagnahmt. Dagegen ging der Patient vor, scheiterte aber vor den ordentlichen Gerichten.

Die mit der Verfassungsbeschwerde angefochtenen Gerichtsbeschlüssen setzen sich nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht damit auseinander, ob im konkreten Fall Durchsuchung und Beschlagnahme angemessen und erforderlich waren, insbesondere fehlt eine Prüfung des Verhältnisses von Schwere der Tat und Angemessenheit des Eingriffs in die Unverletzlichkeit der Wohnung. Es wären mildere Mittel zur Aufklärung des Tatverdachts des Anbaus von Betäubungsmitteln in der eigenen Wohnung wie die Vernahme von Zeugen oder die Konfrontation des Beschwerdeführers mit dem gegenwärtigen Ermittlungsstand denkbar gewesen. Da Verdunklungshandlungen des Beschwerdeführers eine medizinische Unterversorgung des Beschwerdeführers zur Folge gehabt hätten und er ja gerade auf eine Legalisierung seines Tuns setzte, erscheint die Durchsuchung auch angesichts der zu erwartenden geringen Strafe unangemessen. Daher sei auch die Beschlagnahmeanordnung betreffend die Cannabispflanzen des Beschwerdeführers verfassungswidrig, denn auch diese müsse dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen - hier wäre jedenfalls die gesundheitliche Situation des Beschwerdeführers zu bedenken. Die gerichtlichen Entscheidungen wurden aufgehoben, die Angelegenheit an das Landgericht Darmstadt zurückverweisen, das nun erneut über die Beschwerde entscheiden muss.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit dieser Entscheidung die Rechte schwerkranker Patienten unterstrichen, die gegenwärtig in die Illegalität gedrängt werden. Der Beschluss eröffnet Patienten, die einen dringenden Bedarf für selbst angebautes Cannabis haben, den sie nur durch Eigenanbau befriedigen können, der ihnen aber durch das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte auf Anweisung des Bundesgesundheitsministeriums nicht gestattet wird, einen - wenn auch nicht ganz risikolosen - Weg, den sie beschreiten können: Wer Medizinalhanf nutzen darf und den Eigenanbau beantragt, aber nicht genehmigt bekommen hat, kann das auf Basis dieser Entscheidung selbst anzeigen – unter Zugrundelegung dieser Entscheidung sollte eine Wohnungsdurchsuchung und Beschlagnahmung der Cannabispflanzen unterbleiben. Allerdings sollte dieser Weg nicht ohne Absicherung durch eine Anwältin oder einen Anwalt gegangen werden.

"Das Bundesgesundheitsministerium ist nach dieser Entscheidung und angesichts seiner eigenen Ankündigung einen Weg zu suchen, den Patienten beschreiten können, die auf Medizinalhanf angewiesen sind, dringen aufgefordert dem Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte zu gestatten, diesen schwer kranken Patienten wenigstens vorläufig eine Eigenanbaugenehmigung zu erteilen, damit sie nicht gezwungen sind, ihre medizinisch notwendige Behandlung illegal vorzunehmen." Kommentiert Rechtsanwalt Dr. Oliver Tolmein die Lage, "es ist angesichts dessen bedauerlich, dass das Bundesverfassungsgericht die wichtige Rechtsfrage ungeklärt gelassen hat, ob die Beschlagnahme der Cannabispflanzen auch das Grundrecht des Beschwerdeführers auf körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 Abs 2 Satz 1 GG) verletzt hat."

Bundesverfassungsgericht 2 BvR 1694/14

 

 

 

 

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