Contergan, Schadensersatz und Selbstbestimmungsrecht

04.02.2013 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Behindertenrecht

Die Anhörung des Familienausschusses des Deutschen Bundestages zur Lebenssituation der Contergangeschädigten (Video der Anhörung weiter unten - mein Statement hören Sie ab Minute 1:11:15) war nicht die erste an der ich als Sachverständiger teilgenommen habe, aber es war bislang die beeindruckendste:

Dass knapp ein Zehntel aller Menschen, die in Deutschland noch mit Conterganschäden leben, tatsächlich nach Berlin ins Parlament gekommen sind, war ein deutliches Signal.

"Nicht ohne uns über uns" ist ein Motto der Behindertenbewegung, das hier bemerkenswert umgesetzt wurde. Und die Geschädigten machten auch deutlich, dass der Staat, der ihnen mit der Schaffung der Conterganstiftung die Entschädigungsverfahren aus der Hand genommen hat, hat bislang nichts Gutes geschaffen hat.

Dass jetzt mit den 120 Millionen Euro, die den Geschädigten zufließen sollen und die eine drastische Erhöhung der Renten ermöglichen, materiell ein Sprung nach vorne gemacht worden ist, ist erfreulich - auch wenn der Sprung angesichts der hohen Kosten, die eine gute 24-Stunden-Assistenz verlangt, gerade für die am schwersten geschädigten Contergan-Opfer wahrscheinlich immer noch ein Stück zu kurz geht.

Ein wenig fragt man sich auch, ob die Politik hier irgendwelche Anstrengungen unternommen hat oder noch unternehmen will, auch die Firma Grünenthal an den erhöhten Zahlungen zu beteiligen - denn auch wenn die BRD mangels einer angemessenen Arzneimittelüberwachung Mitverantwortung für den Skandal trägt, sind die Schädiger doch dort zu suchen (und Grünenthal steht auch wirtschaftlich so gut da, dass sie sich die Verantwortung über die bisher geleisteten Zahlungen etwas kosten lassen könnten).

Und es ist nicht ganz einzusehen, warum die Steuerzahler hier alleine einspringen sollen - zumal es ja ohnehin schon so ist, dass die Renten jährlich aus Bundesmitteln in Höhe von 35 Millionen EUR gezahlt werden.

Noch wichtiger erscheint aber das Thema Transparenz und Selbstbestimmung durch Beteiligung an den Verfahrensmöglichkeiten: Die Conterganstiftung war durch die Stiftungsratsvorsitzende Antje Blumenthal in der Anhörung vertreten - und es war ein eher trauriges Bild das sie bot:

Selbst auf ausdrückliche Nachfrage des CDU-Abgeordneten Thomas Jarzombek, wie es denn mit Transparenz und Beteiligungsmöglichkeiten der Betroffenen in der Stiftung künftig gehandhabt werden sollte, brachte sie kein klares Bekenntnis zur Offenheit zustande, sondern zog sich auf den Datenschutz bei Personalberatungen zurück (den niemand antasten wollte).

Auch ansonsten hatte die Stiftung zum Thema Spät- und Folgeschäden, Höhe der Entschädigungen und Verteilungsgerechtigkeit für die Schwerstgeschädigten nichts beizutragen (auch wenn es die Stiftung - insbesondere deren etwas pluralistischer zusammengesetzter Forschungsbeirat - war, die das entscheidende Gutachten bei den Heidelberger Gerontologen in Auftrag gegeben hat).

Hier besteht dringender Reformbedarf, denn, wie schon der Rechtssoziologe Niklas Luhmann erkannt und erläutert hat, Legitimation wird in erheblichem Maße auch durch Verfahrensweisen erreicht: Transparenz des Stiftungsgeschehens, eine pluralistischere Zusammensetzung der Entscheidungsgremien der Stiftung und eine angemessene Vertretung der Geschädigten sind hier von herausragender Bedeutung (erste Vorschläge dazu hatte ich im letzten Jahr gemacht).

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