Gleicher Nerv für alle (Männerrechte): In Haft sollen alle schön intim viel reden dürfen...

03.12.2008 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Recht Diskriminiert

Am 1. Dezember beklagte sich die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Jutta Limbach auf einer Diskussion, die das Institut für Menschenrechte in Berlin organisiert hatte, am Rande auch darüber, dass "Menschenrechte" von BeschwerdeführerInnen oft zur kleinen Münze gemacht würden, weil kaum mehr jemand in einem Streit unterliegen könne, ohne gleich letzte Instanzen anzurufen, da die Menschenrechte verletzt wären

(Ansonsten setzte sie sich sehr für das Recht behinderter Menschen auf Beschulung in Regelschulen ein, aber das ist jetzt gerade hier nicht Thema)...

Eine aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dokumentiert allerdings, dass es auch andere Gründe dafür gibt, dass dieses Verfassungsorgan über strapaziert werden muss: Die Instanzgerichte sind oftmals auch hartnäckig grundrechtsresistent.

Ein inhaftierter Mann wollte auch, wie die weiblichen Gefangenen in der Haftanstalt, die er bewohnte, von seinem Eigengeld monatlich für 30 Euro telefonieren und für 25 Euro Kosmetika einkaufen. Sein Antrag des wurde abgelehnt. Seine Klage zum Landgericht blieb erfolglos. Die Landrichter befanden: Pech für den Beschwerdeführer, dass es im Männerknast keine speziell für die Gefangenen eingerichteten Telefonapparate gäbe, die aus Sicherheitsgründen notwendige Überwachung der Gespräche wäre aber sowieso personell nicht zu leisten. Auch hinsichtlich des verhinderten Einkaufs von Kosmetikartikeln liege keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ebenfalls vor, da es sich - man höre und staune - "aufgrund der grundsätzlichen Unterschiede zwischen Männern und Frauen" nicht um einen im wesentlichen vergleichbaren Sachverhalt handele. (Dabei hätte ein Blick in die Angebotskataloge von Beiersdorf genügt, das Gegenteil zu sehen).

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat diese Entscheidung aufgehoben und die Landrichter gezwungen, sich erneut mit der Sache zu befassen. Es spreche nichts dafür, dass hinsichtlich der Telefone nicht eine Angleichung mit geringem Aufwand möglich wäre: "Zwar kann für das Maß an Einschränkungen, das Gefangene hinzunehmen haben, auch die Ausstattung der jeweiligen Anstalt von Bedeutung sein. Angesichts des grundrechtlichen Verbots der Benachteiligung aufgrund des Geschlechts kann es aber andererseits nicht im freien Belieben der Justizvollzugsanstalten oder ihrer Träger stehen, eine spezifische faktische Benachteiligung von Frauen und Männern im Haftvollzug dadurch herbeizuführen, dass deren Unterbringungseinrichtungen unterschiedlich ausgestattet und an diesen Unterschied der Ausstattung sodann Unterschiede der sonstigen Behandlung geknüpft werden."

Soweit die ablehnende Entscheidung auf den Überwachungsbedarf gestützt war, habe das Landgericht versäumt, konkrete Anhaltspunkte dafür anzuführen, dass von unüberwachten Telefonaten aus dem Hafthaus der weiblichen Gefangenen geringere Gefahren für die Anstaltssicherheit ausgehen als von unüberwachten Telefonaten aus dem Hafthaus, in dem der Beschwerdeführer untergebracht ist. Die unterschiedliche Behandlung hinsichtlich des Kosmetikeinkaufs habe das Landgericht zu Unrecht als mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG vereinbar angesehen. An das Geschlecht anknüpfende differenzierende Regelungen seien mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG nur vereinbar, soweit sie zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur bei Männern oder nur bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich sind, oder eine Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht sie legitimiert: "Geschlechtsbezogene Zuschreibungen, die allenfalls als statistische eine Berechtigung haben mögen (Geschlechterstereotype), und tradierte Rollenerwartungen können danach zur Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen nicht dienen.

Auch wenn das Interesse an Kosmetikprodukten in der Gruppe der Frauen verbreiteter oder häufiger stark ausgeprägt sein mag als in der Gruppe der Männer, handelt es sich nicht um ein von Natur aus nur bei Frauen auftretendes Interesse. Den Angehörigen eines Geschlechts kann die Befriedigung eines Interesses nicht mit der Begründung versagt werden, dass es sich um ein typischerweise beim anderen Geschlecht auftretendes Interesse handele. Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG schützt auch das Recht, unbenachteiligt anders zu sein als andere Mitglieder der Gruppen, denen man nach den in dieser Bestimmung genannten Merkmalen angehört." (2 BvR 1870/07)

Das ist schön geschrieben, die Kammer des Landgerichts hätte aber auch ohne verfassungsrichterliche Nachhilfe darauf kommen können.

 

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