Nach dem Conterganstiftungsänderungsgesetz ist vor dem ContStifG... Rechtliche Anmerkungen

26.04.2013 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Allgemein

Der Deutsche Bundestag hat gestern (Donnerstag 25. April) das 3. Conterganstiftungsändeurngsgesetz beschlossen - nach einer nur 30minütigen Debatte, der allerdings eine nicht-öffentliche und eine öffentliche Anhörung des Familienausschusses vorangegangen war.

Die Kanzlei Menschen und Rechte hat das Gesetzgebungsverfahren begleitet und mit mehreren eigenen Stellungnahmen und Vorschlägen beeinflusst. Eine endgültige Bewertung des Gesetzgebungsverfahrens ist noch nicht möglich, da für ein Herzstück des Verfahrens, den Fonds für besondere Bedarfe, noch Richtlinien durch das Bundesministerfamilienministerium erlassen werden müssen.

Ebenfalls noch nicht genau festgelegt ist die neue Conterganrententabelle. Immerhin liegen aber die Höchst- und Mindestwerte vor und es steht fest, dass die Renten bis zu 100 Punkten gesteigert werden und nicht, wie bisher, eine Deckelung bei 45 Punkten stattfindet.

Künftig wird es Renten zwischen 612 Euro pro Monat und 6.912 Euro pro Monat geben. Die bisherige Höchstrente von knapp über 1.000 Euro pro Monat wird künftig voraussichtlich bei etwa 20 Punkten erreicht sein, etwa 700 Geschädigte werden vermutlich mehr als 5.000 Euro Rente im Monat erhalten.

Hoher Pflegebedarf nicht über Rente zu decken

Die Renten werden wie bisher nicht als Einkommen gerechnet, sie sollen nach dem Willen des Gesetzgebers insbesondere den unbürokratischen Ausgleich von Mehrbedarfen, insbesondere der Pflege ermöglichen. Im Gesetzeswortlaut selbst steht dazu allerdings nichts. Danach lassen sich die Renten auch als Einkommensersatzleistungen verstehen oder als Konglomerat von allem Möglichen.

Jedenfalls reichen die neuen Renten für die Begleichung von Kosten einer 8 Stunden-Pflege und mehr am Tag nicht nicht aus. Deswegen werden auch nach dem 3. Conterganstiftungsänderungsgesetz einige hundert Betroffene in die Sozialhilfe abgedrängt werden um dort die erforderlichen Pflegebedarfe zu erhalten.

Privilegierung bei Sozialhilfeleistungen

Diese Härte wird dadurch deutlich abgemildert, dass für diese Betroffenen die Einkommens- und Vermögensanrechnungsvorschriften des SGB XII nicht angewandt werden, das heißt nicht nur die Renten, auch das sonstige Einkommen und Vermögen der Geschädigten und ihrer Angehörigen bleibt unangetastet, wenn und soweit sie Leistungen nach dem 5. bis 9. Buch des SGB XII (im Kern: Pflege und Eingliederungshilfe) beziehen.

Damit ist auch für diese Situationen das in der Vergangenheit umstrittene Problem gelöst, ob neben den Conterganrenten selbst auch daraus evtl. gezogene Zinsen unangetastet bleiben: nach dem SGB XII ja, solange keine Leistungen zum Lebensunterhalt bezogen werden.

Nicht gelöst ist dagegen das Problem des § 102 SGB XII, der unter Umständen nachträglich die Erben mit dem Erbe in die Haftung für Sozialhilfeleistungen nimmt. Diese widersprüchliche Wertung wird sicher ein Thema für die nächste Revision des Gesetzes sein.

Für das SGB II bleibt das Problem der Anrechnung von eigenem Vermögen und auch Zinsen aus angelegten Conterganrenten dagegen im Prinzip bestehen, wobei zu fragen ist, ob der Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II angesichts der neuen Rentenhöhe und mit Blick auf die Probleme der SGB II-Leistungen insgesamt sinnvoll ist.

Fonds für besondere Bedarfe

Ein Herzstück der neuen Reform ist der jährlich 30 Millionen schwere Fonds für besondere Bedarfe, der wohl in erster Linie medizinisch-rehabilitative Bedarfe abdecken soll und dessen Leistungen gleichzeitig subsidiär zu Leistungen insbesondere der Krankenkasse sein sollen. Dass die begrenzten Leistungen hieraus durch rechtsmittelfähige Bescheide verteilt werden, musste im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens erstritten werden, ist jetzt aber sicher gestellt.

Da das Leistungsvolumen begrenzt ist, stellt sich die Frage, ob es hier auch Drittwiderspruchsklagen wird geben können - denn jede Leistung zugunsten eines Antragstellers mindert die Chancen für einen anderen, seine Leistungen zu erhalten. Interessant wäre das mit Blick auf Leistungen, die an Nicht-Betroffene aus diesem Topf ergehen können, an Pflegedienste und Krankenhäuser beispielsweise, die damit besondere Angebote für Betroffene entwickeln können sollen. Ansonsten muss sich zeigen, wie die Verteilungsrichtlinien hier sind und wie sich die Praxis entwickelt.

Bewertung von Folgeschäden ungeklärt

Nicht angegangen wurde seltsamerweise auch das Problem der Folgeschäden, deren Ausmaß das gesamte Gesetzgebungsverfahren überhaupt erst angestoßen hat. Der dem Gesetz zugrunde liegende Gedanke, dass durch die Erhöhung der Renten einerseits und durch die Aufhebung der Deckelung der Punktwerte bei den Renten andererseits, die Folgeschäden bereits ausreichend berücksichtigt seien, trifft für etliche Geschädigte sicher zu.

Er trifft aber für die nicht ganz kleine Gruppe derer nicht zu, deren anerkannte Schädigung sich im unteren Bereich befindet, die aber unter erheblichen Folgeschäden leiden, so dass bei der Gesamtschau - direkt durch Contergan verursachte Einschränkungen, dadurch bewirkte Folgeschäden – eine deutliche Hochstufung erfolgen müsste.

Allerdings sind die Auswirkungen dieses Mangels des Gesetzentwurfes unklar, denn die gesonderte Berücksichtigung von Folgeschäden läßt sich durchaus unter den gegenwärtigen § 12 Abs 1 ContStifG fassen, denn auch diese Schäden sind "wegen Fehlbildungen" entstanden - Probleme könnte es allerdings mit dem Wortlauts der darauf und auf § 13 ContStifG gründenden Richtlinien geben, so dass weiterhin eine Klarstellung geboten erscheint. Unter Umständen müssen Betroffene hier aber auch klagen.

Zaghafte Stiftungsreform und entschlossene Schritte gegen ausländische Geschädigte

Unbefriedigend ist auch die zaghaft angegangene Reform der Conterganstiftung, deren Gremien künftig grundsätzlich öffentlich tagen müssen, wenn nicht Datenschutz oder "das öffentliche Wohl" dem entgegenstehen.

Da darf man gespannt sein. Die personelle Zusammensetzung der Stiftung in der die Ministerialbürokratie den Ton angibt, ist aber nicht verändert worden. Das ist dann wohl auch dem nächsten Conterganstiftungsänderungsgesetz vorbehalten, zumal die Abgeordneten durchaus fraktionsübergreifend klargestellt haben, dass sie nicht den Eindruck haben, dass die Stiftung derzeit besonders geschickt und sinnvoll handelt.

Ganz böse ist, dass der Bundesgesetzgeber sich einen Teil der nunmehr ausgeschütteten Beträge wiederholen will - nicht etwa beim Verursacher der Schäden, der Firma Grünenthal, die mit Contergan reich geworden ist - sondern bei den 250 anerkannten ausländischen Geschädigten: Zahlungen, die diese von ihren Regierungen erhalten sollen auf die deutschen Zahlungen angerechnet werden.

So soll angeblich eine Besserstellung der ausländischen Geschädigten vermieden werden - tatsächlich wird bei den meisten eine Schlechterstellung erreicht werden, denn in vielen Ländern ist ein Ausweichen in die Sozialhilfe bei hohem Pflegebedarf nicht möglich.

Es ist auch bislang nicht klar, wie diese Verrechnung stattfinden soll. Jedenfalls ist zu erwarten, dass auch hier eine rechtliche Klärung stattfinden wird.

Und Grünenthal?

Zur Bundestagsdebatte selber ist anzumerken, dass es in erster Linie der Abgeordnete der Grünen, Markurs Kurth war, der in seiner Rede auch die Firma Grünenthal politisch in die Pflicht genommen hat:

"Die Firma Grünenthal hat 1972 114 Millionen D-Mark bezahlt, 2009 noch einmal 50 Millionen Euro. Wenn man sich die Verhältnisse ansieht, ist das geradezu lächerlich. Ich weiß, dass man das rechtlich - es gibt Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichtes - jetzt natürlich nicht mehr revidieren kann. Aber die moralische Verantwortung der Firma Grünenthal ist unzweifelhaft.

Ich bin schon etwas irritiert, wenn ich sehe, dass die Firma Grünenthal in den vergangenen drei Jahren für 100 Millionen Euro an ihrem Standort in der Nähe der Uni Aachen den Grünenthal-Campus gebaut und gefördert, aber für die Geschädigten keine finanzielle Verantwortung übernommen hat.

Uns bleibt hier im Deutschen Bundestag leider nur der immer wieder neue Appell. Damit, dass wir in diesem Hause gemeinsam Verantwortung übernommen haben, können wir erst einmal einigermaßen zufrieden sein."

Wer die aufschlussreichen Details wissen will, kann sich die Antwort der Bundesregierung auf eine Frage der Fraktion der Linken durchlesen: Bundestagsprotokoll der 233. Sitzung am 17. April 2013, Seite 29144, Anlage 22.

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