Nach Verfassungsbeschwerde: Schadenersatz für Rollstuhlfahrerin vor dem OLG Schleswig

04.10.2016 | | Aktuelles, Pressemitteilungen, Behindertenrecht

Vergleich zwischen Stadt Ratzeburg und Rollstuhlfahrerin, die nach Unfall auf nicht behindertengerechtem Behindertenparkplatz wochenlang zusätzlich eingeschränkt war

Mit einem Vergleich ist heute vor dem Oberlandesgericht Schleswig ein seit sechs Jahren laufender Rechtsstreit (11 U 50/13) um den Unfall einer Rollstuhlfahrerin auf einem kopfsteingepflasterten Behindertenparkplatz zu Ende gegangen. Der Rollstuhl war beim Aussteigen auf dem glatten Kopfsteinpflaster ins Rutschen geraten und gekippt, die Fahrerin hatte sich ein Sprunggelenk gebrochen und war dadurch monatelang zusätzlich eingeschränkt. Der Klägerin war anfangs  Prozesskostenhilfe verweigert worden, ihre Klage war dann in erster Instanz vom Landgericht Lübeck abgewiesen, die Berufung ohne mündliche Verhandlung vom OLG Schleswig zurückgewiesen worden. Das Bundesverfassungsgericht hatte auf eine von der Kanzlei Menschen und Rechte namens der Klägerin erhobene Beschwerde festgestellt, dass die Klägerin wegen ihrer Behinderung benachteiligt worden war (Artikel 3 Abs 3 Satz 2 GG) gesehen und hatte die Berufungsentscheidung des OLG Schleswig aufgehoben. Ein Behindertenparkplatz, so die Verfassungsrichter, könne den mit seiner Einrichtung bezweckten Nachteilsausgleich nicht erfüllen, wenn er die Nutzer gefährde. Insofern würden diese dadurch diskriminiert (BVerfG Beschluss v. 20.04.2016, Az. 1 BvR 2012/13).

Jetzt hat der 11. Senat des OLG Schleswig in anderer Besetzung in der mündlichen Verhandlung deutlich gemacht, dass es einen Schadensersatzanspruch der Klägerin als gegeben ansehe, wenngleich es auch in geringem Maße ein Mitverschulden für denkbar halte, weil die Klägerin angesichts des Kopfsteinpflasters möglicherweise die Stabilität des Rollstuhlstandes hätte überprüfen müssen. Entscheidend komme es aber darauf an, dass der Belag sowohl nach den 2009 geltenden DIN-Normen, als auch nach der mittlerweile geltenden DIN-Norm (DIN 18040-3), ein gefahrloses Aussteigen nicht ermöglicht habe und die beklagte Stadt damit gegen ihre Verkehrssicherungspflicht verstoßen habe. Das OLG empfahl einen Vergleich, der der Klägerin einen Großteil des eingeforderten Schadenersatzes zubilligt und die Kosten des Verfahrens zu 80 Prozent der Beklagten Stadt auferlegte. Dem stimmten beide Parteien zu – auch um den Streit um den mittlerweile abgeschilderten Behindertenparkplatz zu beenden. Rechtsanwalt Dr. Oliver Tolmein von der Kanzle Menschen und Rechte, der die Klägerin auch im Berufungsverfahren vertrat, begrüßte diesen Ausgang: „Behindertenparkplätze mit Kopfsteinpflaster gehören damit hoffentlich endgültig der Vergangenheit an.“ Das Bundesverfassungsgericht habe mit seiner Entscheidung deutlich gemacht, dass ein Nachteilsausgleich Menschen mit Behinderungen nicht gleichzeitig gefährden dürfe. “Das Verfahren zeigt auch, wie wichtig die Möglichkeiten der Verfassungsbeschwerde sind: Ohne die Entscheidung er Verfassungsrichter, wäre die Klägerin hier von der ordentlichen Gerichtsbarkeit ihrer Rechte vollständig beraubt worden.“ Außerdem habe das Bundesverfassungsgericht die Bedeutung des Benachteiligungsverbots für Menschen mit Behinderungen im Alltag spürbar gestärkt, indem es hervorgehoben habe, dass Fördermaßnahmen nicht nur pflichtschuldig irgendwie betrieben werden dürfen, sondern so, dass sie ihr Ziel, die Teilhabe zu erleichtern, auch wirklich erreichen können. „Das sollte“, so Rechtsanwalt Dr. Oliver Tolmein, “auch in zukünftigen Verfahren dieser Art die Stellung von Klägerinnen und Klägern mit Behinderungen stärken.“

 

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